Spryker Systems: Alexander Graf zu den Themen Firmenkultur, Hiring & Motivation

Alexander Graf OMKB

In seinem Podcast und Blog Kassenzone beleuchtet er regelmässig die aktuellsten Trends und Thesen der Digital Szene und diskutiert sie ausgiebig mit seinen Gesprächspartnern. Daneben ist er Autor, Unternehmer aus Leidenschaft und erfolgreicher Co-Geschäftsführer der Spryker Systems GmbH: Alexander Graf.

Wo früher noch der Standard reichte, sind E-Commerce-Shops heute immer individueller und komplexer in ihren Anforderungen. Und an genau diesem Punkt setzt das Team von Spryker an: Seit der Gründung im Jahr 2014 hat sich Spryker zu einer umfassenden Premium-E-Commerce-Lösung entwickelt. Mehr als 250 B2B-, B2C- und auch Marktplatzkunden nutzen bereits Spryker-Lösungen, mit der globale Transaktionen möglich gemacht und einfach verwaltet werden.

Zuletzt machte Spryker Ende 2020 auf sich aufmerksam, als sie in ihrer abgelaufenen Finanzierungsrunde rund 106 Millionen Euro eingesammelt haben und damit nun mit über 500 Millionen Euro bewertet sind. Mit Hilfe der Finanzierung plant das Start-up u. a. sein Angebot in den USA auszuweiten, wo bereits ein Zehntel der Einnahmen erwirtschaftet werden.

Bei der virtuellen OMKB im Oktober 2020 stand Alexander Graf Think11-Geschäftsführer und Moderator Schahab Hosseiny Rede und Antwort und gab einen exklusiven Einblick in die Themen Kultur, Hiring, Gartner Magic Quadrant und auch in die Motivationshaltung seiner Mitarbeiter.

Die ersten Touchpoints im E-Commerce

Schahab Hosseiny: Vielen Dank Alexander, dass du dir heute die Zeit nimmst. Starten wir direkt: Du giltst in Deutschland ja als E-Commerce Koryphäe. Was war denn dein erster Touchpoint mit dem Thema E-Commerce? Kannst du dich noch an das erste Produkt erinnern, das du geordert hast und wenn ja, welches Produkt und wo?

Alexander Graf: Mein erster Touchpoint mit dem Bereich E-Commerce müsste sicherlich Ende der 90er Jahre gewesen sein. Mit unserer Eventfirma haben wir damals die grossen Abi-Partys aller Kieler Schulen veranstaltet und zu dem Zeitpunkt schon versucht, über die Website Tickets zu verkaufen oder Gutscheincodes zu vergeben. Damals lief das alles noch komplett händisch, das habe ich dann selbst programmiert. Zu der Zeit war PHP noch nicht mal objektorientiert, also wirklich ganz “plain”. 

Was die Produkt-Order angeht: Mit den Rechnern zu Hause und den ersten DSL-Verbindungen war der klassische Weg zu der Zeit entweder über Ebay – da könnte, denke ich, meine erste Order gelegen haben – oder aber der alternative Weg über günstiger.de. Dort konnte man die Produkte meist noch günstiger bestellen. Darunter waren dann bestimmt Shops wie Mindfactory, ein riesen Business damals, oder Pearl, bei denen ich sicherlich was geordert habe. Da müsste ich jetzt mal in meinen Mails kramen, was es genau war – wäre auf jeden Fall interessant zu wissen, wo ich letztlich meine erste Order getätigt habe. 

Alexander Graf zum Thema Triple-A-Hiring

Schahab Hosseiny: Schauen wir mal ein bisschen auf die Gegenwart, Alex. Ihr legt bei Spryker ja ein wahnsinniges Tempo hin, was “Triple-A-Hiring” angeht. Ihr habt Mitarbeiter von SHP, Salesforce oder auch Oracle bei euch im Team. Da würde mich interessieren: Ziehst du bewusst mehr Tech-Konzern-Expertise und -Kompetenz bei euch in die Organisation und vor allem: Was macht das mit der Organisation? Ihr seid ja aktuell, du wirst die Zahl natürlich besser kennen, rund 200 Mitarbeiter. Und darunter sind meines Wissens auch Hochkaräter, die aus sehr grossen Konzernen mit Tech-Strukturen kommen. 

Alexander Graf: Da kommen verschiedene Sachen zusammen. Wir brauchen bei uns Konzern-Erfahrung, aber nicht im klassischen Sinne. Spryker wächst vor allem deshalb so schnell und erfolgreich, weil wir eben nicht die Konzernstrukturen haben. Das ist der grosse Vorteil bei Start-ups: Es gibt kurze Wege und schnelle Entscheidungen. Was man sich mit Einstellungen aus Konzernen zusätzlich einkauft, ist das Netzwerk und die Expertise – das kann Sales sein, das kann Product sein, das kann Partnermangement sein. Wenn du Leute hast, die schon seit 10, 20 Jahren in unserer Industrie “wildern” und jeden kennen, dann hast du schon sehr viele gute Ansätze dahingehend, wie man bspw. ein Partnerprogramm aufbaut oder, wie man einen Kunden dazu bewegt, sich nochmal einen Product Pitch anzusehen. Wenn du dir das durch Personal einkaufen kannst, in einem Business das so stark gehebelt ist wie unseres, dann ist das natürlich sehr viel wert – das sind dann aber auch wirklich teure Leute.

Wir achten beim Hiring aber explizit darauf, dass es “ego-freie” Leute sind. Ego-frei bedeutet hier, dass wir Mitarbeiter suchen, die richtig motiviert sind und sagen: “Wir wollen das hier schaffen”. Die haben dann noch mal Lust, fünf bis zehn Jahre richtig Gas zu geben. 

Der Hiring-Anspruch von meinem Co-CEO und mir für diesen ersten Management-Layer, der C-Suite, ist, dass die Leute dort immer besser sein müssen als wir. Heisst: Nicht wir müssen erklären, wie wir verkaufen und expandieren wollen – das sollten die. Gleichermassen müssen sie uns an die Hand nehmen und Geschwindigkeit einbringen. Das ist sowohl eine Forderung der Investoren als auch eine zentrale Forderung, die in den nächsten Entscheidungs-Runden auf uns zukommt.

Da darf das Unternehmen nicht mehr nur vom Gründerteam abhängig sein: Es muss quasi ein skalierbares Management-Setup geben, mit ganz klaren Incentives, die nicht mehr an den Gründer-Incentives hängen. Das macht am Ende viel mit der Organisation. Das ist dann nicht nur ein personelles, sondern eher ein inhaltliches Wachstum, wo dann der ein oder andere leider auch auf der Strecke bleibt. 

Bei uns kommt stetig Expertise hinzu und es entwickeln sich ein permanenter Austausch und eine permanente Neu-Organisierung, was für einige sehr anstrengend sein kann. Das ist aber letztlich die Kultur, in die wir investieren: Dieses ständige Neu-Erfinden ist Teil des Erfolgs von Spryker und der Grund dafür, dass wir besser, schneller und effizienter werden als andere. Ich glaube, dass grundsätzliches Wachstum, neue Report-Linien und neue Ziele immer viel mit einer Organisation machen. Wir Menschen sind eigentlich eher dazu geneigt, unseren Platz zu finden und uns nicht jeden Tag neu zu erfinden. Diese Start-up-mässigen Strukturen liegen nicht in der Natur der Menschen oder des klassischen Mitarbeiters. Da müssen wir als Gründer eine Kultur schaffen, bei der niemand im Burnout landet. 

Auf der einen Seite steht: Wir haben bei Spryker eine offene Feedback-Kultur und jeder kann alles sagen. Auf der anderen Seite steht dann aber auch: Als Organisation muss man den Leuten auch den Freiheitsgrad geben, Fehler zu machen. Das ist nicht einfach, da bin ich ganz ehrlich.

Firmenkultur & Motivation bei Spryker

Schahab Hosseiny: Wie geht ihr denn generell mit dem Bereich Culture bei Spryker um? Ist das Thema bei euch dezidiert aufgesetzt und durch ein Team abgebildet oder eher im Bereich HR eingegliedert? Culture wird ja auch sehr von euch als CEOs getriggert. Wie geht ihr damit um, da ihr ja in einem permanenten Transformations-Verfahren seid? Oder ist das eher ein Thema, mit dem ihr euch in Zukunft stärker beschäftigt und damit das Employer Branding und euch als Arbeitgebermarke stärker fördert?

Alexander Graf: Also grundsätzlich glaube ich, dass du Kultur nicht vorgeben kannst und, dass Kultur auch keine Ursache für Unternehmenserfolg ist. Es ist eher ein Effekt, wie du mit Mitarbeitern umgehst, wie du sprichst, wie du dich verhältst – dabei ist jeder Einzelne Teil dieser Kulturentwicklung. Und je mehr schlechte Auswahl wir bspw. bei Mitarbeitern tätigen, wenn wir also doch sehr “konzernig” werden, dann ändert sich die Kultur. Das merkt der Geschäftsführer vielleicht gar nicht so schnell, aber wenn du als gut ambitionierter Mitarbeiter einen Chef oder eine Chefin vorgesetzt bekommst, die/der gar nicht gut ist, sich aber total gut verkaufen kann, dann verändert sich die Kultur. Das ist ein super wichtiger Aspekt für ein Unternehmen.

Schauen wir uns das mal genauer an: Unternehmen sind ja teilweise Personen, die in verschiedenen Büros vorm Rechner sitzen. In einem Büro geht irgendwie mehr, weil die Leute dort anders miteinander umgehen und besser miteinander reden. In dem anderen Büro geht nicht so viel, weil die Leute sich im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigen. Deswegen ist Kultur schon sehr wichtig damit man an einem Punkt zusammenkommt. Aber die entsteht nicht dadurch, dass man zusammen ein Floss baut oder irgendwelche Sprüche an die Wand schreibt. Kultur muss gelebt werden und setzt sich durch Ergebnisse, durch gemeinsames feiern und sehr, sehr ehrliches Feedback zusammen. Aber auch diese Kultur verändert sich ganz klar, je grösser das Unternehmen ist. Dann gibt es vielleicht eine Office Kultur in Hamburg, eine in Berlin und eine in Amsterdam. Da muss man dann wiederum zusammenkommen. Aber ich glaube, das wird das “neue Normal”, da wir immer stärker remote arbeiten. Daher muss man sich eh von dem Gedanken lösen, dass Kultur im Office geschaffen wird. 

Schahab Hosseiny: Sehr gut. Es gibt da ja auch das schöne Zitat: Wer Leistung will, muss Sinn stiften. Dass die Mitarbeiter also eine intrinsische Motivationshaltung entwickeln und es einfach sehr gut finden, für die Company zu arbeiten. Was wäre denn der Sinn für mich als Mitarbeiter, wenn ich tagtäglich bei Spryker an den Start gehe? Was ist es bei euch, was eine richtige Zugkraft entwickelt?

Alexander Graf: Das ist für jeden Mitarbeiter ja ein bisschen was anderes. Letztlich müsste man das am Endes des Tages den Mitarbeiter fragen. Mir wird oft zurückgespielt, dass es viel Spass macht, für uns zu arbeiten, weil sich so viel bewegt. Wir entscheiden sehr schnell und mit grossem Hebel. Mittlerweile sind wir eine Organisation mit 250 Leuten und arbeiten mit grossen Konzernen zusammen. Wenn wir smart und gut handeln, können wir grosse Wettbewerber mit tausenden Mitarbeitern aushebeln – und das feiern wir dann auch zusammen. Ich glaube, dieser Ablauf von: Wir haben eine Idee für das Partnerporgramm, verändern diese Idee in der nächsten Woche und setzen sie schon in der übernächsten Woche um, bekommen dann direkt Feedback von den Partnern – das ist ein Prozess, der bei Salesforce drei Jahre dauert. Bei uns geht es schneller und das macht den Mitarbeitern mega viel Spass. Das ist auch etwas, was ich selbst als Mitarbeiter fordern würde, um den  Effekt meiner Arbeit direkt sehen zu können. Bei uns hat jeder Mitarbeiter einen sehr hohen Freiheitsgrad, dabei muss er aber auch klar für sein Projekt stehen, dieses kommunizieren und innerhalb des Unternehmens verkaufen. Es ist ja beispielsweise nicht meine Aufgabe, ein Kulturprojekt von der HR an andere zu verkaufen. Ich möchte, dass keine Tür verschlossen ist, dass jeder offen über alles redet und, dass jeder seine Sachen pitchen und vorstellen kann. Und das ist es, was den meisten Leuten Spass macht, weil der Unterschied so frappierend ist zu allen anderen Unternehmen.

Virtual Shares und Trendscouting

Schahab Hosseiny: Okay, cool. Du schreibst in der Presse auch, dass ihr bei den Triple- A-Hires durchaus Firmenanteile verteilt. Ist das auch Bestandteil eurer Firmen-DNA? Ich möchte da jetzt keine Details, aber kokettiert ihr mit Virtual Shares oder wie können wir uns dieses Konzept konkret bei euch vorstellen?

Alexander Graf: Ja, da gibt es ganz verschiedene Konstrukte. Am Ende des Tages partizipierst du ab einer bestimmten Managementebene an der Weiterentwicklung des Unternehmens. Alternativ müsste man ja sonst sehr viel Gehalt zahlen, was für ein Unternehmen wie unseres eine deutlich weniger attraktive Option ist. Dann läuft zum einen die Argumentation über Shares: Du steigst für die nächsten paar Jahre ein, da gibt es immer so einen “Investing-Zyklus”, und wenn das Unternehmen dann in den kommenden drei bis vier Jahren doppelt so viel wert ist, dann haben die Shares eben auch an Wert gewonnen und können dann locker nochmal das Gehalt verdoppeln, verdreifachen oder vervierfachen, wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft eben nicht. Das ist dann aber fair für alle Seiten. Zusätzlich gibt es eine emotionale Bindung an das Unternehmen, die anders ist, als ich mir es früher vorgestellt hatte. Menschen handeln da nicht zu 100 % rational, sondern sagen: Ich möchte Teilhaber sein, ich möchte mich verbunden fühlen und ich möchte informiert werden, wenn der Wert steigt. Und das ist, denke ich, ein sehr guter Mechanismus. In Deutschland aber auch sehr schwer umzusetzen, da es hier zahlreiche Steuerhürden gibt. Man muss es so regeln, dass es für den Mitarbeiter letztlich kein Nachteil ist. Solche Shares sind nicht trivial und erzeugen einen hohen Aufwand auf der Anwalts- und Steuerrechts-Seite. Aber besonders mit dem Blick auf Hirings aus dem Ausland, wie bspw. den USA: Da ist so ein Mechanismus standard, daher geht es auch bei uns nicht ohne. 

Schahab Hosseiny: Absolut. Schauen wir mal weiter. Wie orchestriert ihr bei Spryker denn das gesamte Thema Trendscouting, New Business Development? Wie geht ihr damit um? Rein interessehalber für mich: Gibt es bei euch eine Unit oder ist das so fest in eurer DNA verankert, dass ihr permanent auf der Suche nach dem nächsten grossen Ding für euer Segment seid?

Alexander Graf: Das wird bei uns schon immer mal wieder von einzelnen Abteilungen gefordert: “Wir brauchen hier einen Business Developer für Product, wir brauchen hier noch einen Menschen für Growth Marketing, wir brauchen hier jemanden, der sich das ganze innovative Zeug für unsere Kunden überlegt”, das halte ich für falsch. Ich glaube, das ist Führungsaufgabe, quasi jeden Tag die Leute zu challengen. Jeden Tag den Status quo zu hinterfragen, regelmässig zu schauen: Ist das eigentlich gut, was wir hier machen. Warum haben einige Prozesse so lange gedauert? Warum sind wir nicht auf die Idee gekommen, die ein Wettbewerber hatte? Warum probieren wir nicht mal dieses und jenes aus? 

Ich war selbst mal Trendscout bei Otto und konnte dort frei forschen und ziemlich viel lernen. Aber ich bin der Meinung, dass das, was ich da gemacht habe, eigentlich ein Abteilungsleiter hätte machen müssen. Jemand, der operativ in der Funktion sitzt und sagt: 20 Prozent meiner Zeit mit dem Team muss ich damit verbringen, neue Dinge zu erproben, mich neu zu erfinden und mich immer wieder zu hinterfragen. Denn, wenn ich das nicht tue, werde ich per Definition aus dem Markt gefegt. Deswegen versuche ich, und das ist meine Meinung als Gründer und Co-CEO, diese dedizierten Funktionen abzuwehren. Irgendwann passiert das bestimmt, dass jemand mit Personaleinstellungsrecht jemanden einstellt, der dann nebenbei eine Art innovatives Projektmanagement macht, so ein Corporate Development Officer. Aber so lange ich da noch mitreden kann, versuche ich das zu vermeiden und erwarte von den Führungskräften, dass sie das selbst hinbekommen. Ich erwarte, dass sie sich da selbst challengen. Dazu werden sie natürlich auch von uns massiv gechallenged. Aber genauso challengen mein Co-CEO und ich uns permanent.

Gartner Magic Quadrant und das Thema Preisflexibilität in der Spryker-Software

Schahab Hosseiny: Finde ich sehr sympathisch, dass du sagst, du möchtest eine gewisse Omnipräsenz und das Innovationsmanagement braucht dafür keine explizite Unit, sondern, dass dies eine Anspruchshaltung gegenüber den Führungskräften ist. 

Du meintest ja schon, dass ihr bei Spryker Erfolge feiert, da habt ihr ja auch viele, die es zu feiern gibt. Sicherlich habt ihr auch gross gefeiert, dass ihr es jetzt in den Gartner Magic Quadranten geschafft habt. Ziemlich cool. Die loben euch ja auch an vielen Stellen. Resultierte durch das Listing schon ein Impact? War das sales-seitig schon eine Art Beschleuniger, sodass ihr jetzt wesentlich mehr Sichtbarkeit habt?

Alexander Graf: Das is noch zu früh und schlägt in den Daten noch gar nicht so durch. Wir reden ja auch schon ein bisschen länger mit vielen Leuten und die empfehlen uns für viele Cases. Wir bekommen aber auch Kunden, die auf uns zukommen, da Gartner uns empfohlen hat. Auch ein Forrester oder IDC hat uns schon empfohlen. Aber wie da jetzt der Nettoeffekt aussieht und inwieweit man einen Vergleich stellen kann, um zu sehen, wie es ohne das Listing ausgesehen hätte, kann ich vermutlich erst in ein, zwei Jahren sagen. 

Meine Vermutung ist, dass es für den deutschen oder den zentraleuropäischen Markt nicht so einen grossen Impact hat. Hier spielen ja Gartner und auch Forrest als Plattformen für die Informationsbeschaffung nicht so eine grosse Rolle. Hier ruft man doch lieber bei pwc oder anderen Beratungen an und lässt sich über ein Produkt informieren. Es hat aber natürlich eine grosse Auswirkung auf Märkten, wo wir selber eher eine geringe Brand Awareness haben, z. B. in UK, USA, Indien, Japan oder Australien. Da sind diese Plattformen in der Costumer Journey im Auswahlprozess selbstverständlicher involviert. Also, es wird sicherlich einen Effekt haben. Wie gross dieser ist, runtergerechnet auf den Zeitraum 2020/2021 kann ich dir noch nicht sagen. 

Schahab Hosseiny: Letzte Frage, Alex. Ihr seid ja auch im B2B-Bereich sehr aktiv. Dort ist natürlich der Einsatz von KI oder grundsätzlich von regelbasierten Lösungen, was Verhandlungsmasse angeht, ein bisschen anders geartet, als im B2C-Bereich. Was ich gerne von dir wissen möchte: Wie weit beschäftigt ihr euch im B2B-Bereich mit dem Thema Preisflexibilität? Im B2B-Bereich ist hier ja eine viel stärker ausgeprägte Diversifikation, was die Preisstrukturen angeht. Nutzt ihr oder plant ihr da, durch künstliche Intelligenz, regelbasierte Vorhaben oder andere Möglichkeiten und Features den kompletten Verkaufsprozess zu supporten oder ist das ein völlig uninteressantes Thema für euch?

Alexander Graf: Also, die meisten unserer Projekte bei Spryker, bzw. Produktanfragen kommen aus dem B2B-Bereich, weil die Plattform dafür noch besser passt, als für den B2C-Bereich. Du kannst super komplexe Workflows und beliebig viele Preise anlegen. Ich verstehe jeden B2B-Konzern, der sagt: “Herr Graf, unser Geschäftsfeld ist das komplexeste, was Sie sich vorstellen können. Jeder Kunde, jedes Produkt hat einen anderen Preis – wir können das nicht offenlegen und zugänglich machen.” Auf der anderen Seite sage ich aber, dass es auch ganz gut ist, Teile offenzulegen, wie bspw. Verfügbarkeiten – das ist nunmal ein Teil des Tricks, um im E-Commerce erfolgreich zu sein. Wenn man das nicht macht, wird man deutlich schlechtere Conversions sehen – egal, welches Interface das ist. 

Man muss sagen, dass die meisten Unternehmen Schwierigkeiten dabei haben, die Preis-Logiken zu institutionalisieren, sie also aufzuschreiben und zu schauen, nach welcher Preis-Logik dabei vorgegangen wird. Da entstehen oft Situationen, in denen es heisst: Ja der Herr Müller kennt den Herrn Franke und deswegen bekommt der immer drei Prozent Skonto und diese und jene Produkte waren schon immer bei seiner Bestellung mit dabei. Es gibt einfach sehr viel nicht “externalisierbares” Wissen, welches in dieser Preisfindung steckt, das erstmal nichts mit dem System zu tun hat. Dann ist es eher ein kultureller und organisatorischer Wandel, zu sagen, dass dieses System so nicht funktioniert, wenn wir schneller werden wollen. Effizienz entsteht nur dann, wenn wir das Ganze institutionalisieren. Wenn jemand den Anbietern zeigt, dass mit einem neuen System noch bessere Preise und Angebote möglich sind, die in mehr positivem Feedback enden. Das ist, denke ich, die grösste Stellschraube in vielen Unternehmen. 

Wir haben Kunden wie Sourceability, die haben eine krasse Preismatrix mit dutzenden Milliarden Preisen. Das ist erstmal schön, führt aber natürlich zu einer gewissen Unübersichtlichkeit. Und was noch viel kritischer ist: Es gibt in vielen Unternehmen oft gar nicht diesen Anforderungsmanager, der das alles handeln kann und sagt, wie das System vorgeht. Der eine Antwort darauf hat, wenn ABC passiert, was dann D ist. Und das ist meiner Meinung nach der eigentliche Engpass. 

Schahab Hosseiny: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!

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